Begriffe und Konzepte Glossar
Alltagsrassismus
Dieser Begriff beschreibt die Tatsache, dass in individuellen, strukturellen und kollektiven Handlungen, in Medien, Schule, Beruf, Öffentlichkeit alltäglich rassistisches Gedankengut, rassistische Sprache und Bilder reproduziert werden. Alltagsrassismus äußert sich oft unbewusst und unbeabsichtigt, etwa in Form von Lob dafür, "aber gut deutsch zu sprechen" oder übergriffigem Verhalten wie "ungefragt in die Haare fassen". Für Betroffene ist Alltagsrassismus oft eine wiederkehrende traumatische Erfahrung - sie werden wieder und wieder einem "Othering" ausgesetzt.
Mikroagressionen
Mikroagrassionen sind Alltagsrassismen, die auf den ersten Blick von Seiten der handelnden Person vielleicht sogar als Kompliment gemeint sind ("sie sprechen aber gut deutsch") oder oberflächlich Neugier / Interesse auszudrücken scheinen ( "woher kommen Sie (wirklich)?"), bei denen aber eigentlich signalisiert wird, dass die angesprochene Person nicht zur Norm gehört bzw. aufgrund des Erscheinungsbildes oder vermuteter kultureller Herkunft nicht zur "normalen" Gesellschaft gehören kann. Dieses Infrage-Stellen der Identität wäre als Einzelfall vielleicht händelbar, entfaltet seine destruktive Wirkung aber durch die alltäglich wiederkehrenden Erlebnisse, die bei Betroffenen wie immer wiederkehrende verletzende Nadelstiche der Ausgrenzung wirken. Auf Mikroagressionen angesprochen, reagieren weiße Menschen oft mit "white fragility".
Othering
Der Begriff „Othering“ wurde 1985 von der Postkolonialen Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak eingeführt. er beschreibt den Vorgang einer absichtlichen oder unbewussten Abgrenzung durch Konstruktionen von „Wir“ und "die Anderen" in einer Gesellschaft. "Die Anderen" werden im Vergleich zum "Wir" der Mehrheitsgesellschaft dabei entweder offen abgewertet, "weniger aufgeklärt", "weniger gebildet", "weniger fähig" zu sein oder mit vermeintlich positiven Merkmalen belegt wie "exotisch", "naturverbunden", "rassig", "von Natur aus sportlich / tänzerisch begabt". Betroffene erleben die Zuschreibung und Reduzierung auf stereotype, rassistische Eigenschaften etwa in form von Alltagsrassimen wie Mikroagressionen als ständige Ausgrenzung, die ein Gefühl der Zugehörigkeit verhindert und die eigenen Identitätsfindung erschwert.
(Quelle zum Begriff „Othering“: Spivak, Gayatri Chakravorty (1985): The Rani of Simur. An Essay in Reading the Archives. In: Barker, Francis et al. (Hrsg.): Europe and its Others. Colchester: University of Essex, 128–151.)
Rassismus
Rassismus iat eine Ideologie, die Menschen anhand äußerer Erscheinungsmerkmale, ihrer Namen, ihrer zugeschriebenen Herkunft, Kultur oder Religion abwertet. Rassismus hat eine Vielfalt von Erscheinungsformen von Alltagsrassismen über strukturellen Rassismus bis hin zu rassistischen Gewalttaten. Rassismus braucht keine Absichtserklärung, Handlungen und Äußerungen können, auch wenn Sie unwissentlich oder unabsichtlich getätigt werden, rassistisch sein. Rassismus existiert in der Realität stets im Rahmen ungleicher Machtverhältnisse, bei der eine Gruppe von Menschen als "Norm" gilt und über mehr Teilhabe und-Machtressourcen verfügt als Andere, die wiederum von Ausschlussmechaismen betroffen sind.
Der klassische biologistische Rassismus hat seinen Ursprung im neuzeitlichen Kolonialismus. Auf der Basis naturwissenschaftlicher "Forschung" zu phänotypischen Merkmalen wie der Hautfarbe wurde die Existenz von "Menschenrassen" konstruiert, die anhand zugeschriebener (fehlender) Eigenschaften und (mangelnder) Fähigkeiten hierarchisiert wurden. An der Spitze dieser Herarchie standen die weißen Europäer*innen. Die hierarchische Rassifizierung und Abwertung nicht-weißer Menschen diente als Legitimationgrundlage für die Ausbeutung und Versklavung "untergeordneter Rassen", die dann als "unzivilisert", "dumm", "triebgeleitet" von europäischen Kolonialmächten "beherrscht", "zivilisiert" und - in manchen Fällen - "gerettet" werden sollten.
Der britische Soziologe Stuart Hall prägte 1989 den Begriff des Kulturrassismus, einem Rassismus ohne Rassen, der den biologistischen Rassismus abgelöst hatte. Statt angeblichen menschlichen "Rassen" Mängel zuzusschreiben, wurde nun von unveränderlichen Kulturdefiziten gesprochen. Angehörige einer angeblichen Kultur wurde damit aus eurozentrischer Perspektive ein Set an (meist negativen oder mangelhaften) Eigenschaften und Stereotyoen zugesprochen, das vor allem deren "Fremdsein" betonte, um die Unvereinbarkeit mit westlichen Werten und Normen zu verdeutlichen und den Hegemonieanspruch der westlichen Kultur zu legitimieren.
(Quelle zum Kulturrassismus: Hall, Stuart (1989b): Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Das Argument 178,Hamburg: Argument Verlag. S. 913-921)
Struktureller Rassismus
Struktureller oder Institutioneller Rassismus bedeutet, dass in unseren gesellschaftlichen Strukturen, auf dem Arbeits- und Wohnungmarkt, in Bildungseinrichtungen und öffentlichen Ämtern und in der Rechtssprechung über Jahrhunderte (unbewusst) rassistisches Wissen tradiert und damit reproduziert wurde und noch wird. Rassifizierte oder migrantisierte Menschen erfahren dadurch in Schule, Ausbildung, auf Arbeits- oder Wohnungssuche oder durch staatliche Behörden Teilhabebarrieren, Benachteiligung oder rassistische Gewalt. Die Anerkennung der Tatsache, dass unserer Gesellschaftsstrukturen rassistisch geprägt und wir als Individuen daher auch rassistisch sozialisiert sind, ist ein erster Schritt in der rassismuskritischen Auseinandersetzung.
Weiteres
Weitere und ausführlichere Informationen für eine diskriminierungsfreie Sprache finden Sie auf folgender Seite:
Glossar der Neuen Deutschen Medienmacher*innen
Als umfassendes Nachschlagewerk können wir empfehlen:
Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.): „Wie Rassismus aus Wörtern spricht - (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagwerk“, Unrast-Verlag (2011).
Teile dieses Glossars sind angelehnt an die Erläuterungen im Glossar des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit e.V. (Letzter Zugriff: 17.03.2021).